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Schumacher-Arzt: Diagnose und Heilung im Detail
Im Wortlaut: Dr. Johannes Peil in der Pressekonferenz über die wahren Ausmaße von Michael Schumachers Verletzungen und über den Heilungsverlauf
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Warum war das Comeback aus medizinischer Sicht nicht machbar?"
Dr. Johannes Peil: "Michael war zum Zeitpunkt seiner Entscheidung konditionell gut vorbereitet. Er hat immer etwas dafür getan, dass er fit bleibt. Von daher hatten wir eine gewisse Basis. Wir hatten aber auch die Folgen des Unfalls vom Februar. Diese Folgen waren bekannt, sie wurden regelmäßig mit entsprechenden Verfahren kontrolliert. Und wir wussten auch, dass wir trotz der Folgen des Unfalls ab April, Mai auch im Bezug auf den Bewegungsapparat, auf Halswirbelsäule und Kopf entsprechend arbeiten konnten - natürlich nicht in vollem Umfang. Und so gab es eine bestimmte Situation im Sinne der Heilung, wo man dann überlegen konnte, ob es mit einem Fahren im Formel-1-Auto wieder passen könnte."
© Sportklinik Bad Nauheim
Dr. Johannes Peil ist seit neun Jahren der Arzt von Michael Schumacher
"Auch dazu gab es Erfahrungen vorher. Es gab die Erfahrung, dass Michael wieder auf Rennstrecken Motorrad fahren konnte, auch entsprechende Distanzen. Michael konnte über Stunden auch Kart fahren unter Rennbedingungen. Das ist in dem Sinne keine adäquate Belastung gegenüber der Formel 1, aber es gibt in der Medizin auch solche Begriffe wie Belastungserprobung. Es kann jedem von uns passieren, dass man nach einer Disability wieder etwas tun muss, und da ist Kartfahren ziemlich ideal."#w1#
"Kurz und gut: Bis zu einem gewissen Punkt geht so ein Heilungsverlauf weiter. Sie wissen, dass Frakturen früher oder später meist heilen. Sechs Monate lagen dazwischen und so kam die Entscheidung, ob man so etwas probiert. Die Frage war aber, was dazu geführt hat, dass es letztendlich nicht geklappt hat. Das Fahren auf Formel-1-Niveau ist etwas ganz anderes. Ich denke, da hat uns auch die Sportart vielleicht wieder etwas gezeigt. Man muss es probieren, denn es gibt keine Möglichkeit im Labor, in der Folterkammer, an einem Nackentrainingssystem irgendetwas adäquat nachzustellen. Wenn heute andere Fahrer zwei bis drei Wochen Urlaub machen, brauchen sie wieder eine gewisse Zeit, um sich an die Belastung zu gewöhnen."
"Hier war es einfach so, dass sich eine der Unfallfolgen - die noch mit einem Defizit heilt, von der wir nicht wissen, inwieweit das später als Arthrose, als Gelenksverschleiß herauskommt - unter der Belastung der Formel-1-Fahrten wieder gemeldet hat. Und diese Meldung erfolgt beim menschlichen, beim biologischen Organismus im Sinne von Schmerz. Und dann kann man den Schmerz eben verwinden, man achtet auch darauf, ob der Schmerz wieder weg geht. Jeder von uns tut das. Wenn aber die Belastungen so groß sind, dass der Schmerz nach so einer Belastung nicht relevant wieder zurückgeht, dann stellt sich eben die Frage, ob es geht."
Frage: "Sie haben die Unfallfolgen vom Februar angesprochen. Was genau ist damals passiert?"
Dr. Peil: "Die Unfallfolgen waren die schwersten, die Michael in seiner Karriere zu tragen hatte. Er hat durch den Unfall eine Fraktur im Bereich des siebten Halswirbels erlitten, er hat eine Fraktur der ersten Rippe links erlitten, er hat des weiteren durch den Aufschlag, durch die Kompression eine Fraktur im Bereich der Schädelbasis erlitten. Das ist eine ganz wichtige Fläche im Bereich des vorderen Hinterhauptes. Es ist die Stelle, ungefähr so groß wie ein Fingernagel des Daumens, wo das gesamte Gewicht des Kopfes auf beiden Seiten abgetragen wird, auf dem so genannten Atlas. Das sind spiegelblanke Flächen normalerweise, die perfekt artikulieren und perfekt ihre Arbeit verrichten. Und auf der linken Seite gab es hierzu eine Berstungsfraktur."
"Eine Berstungsfraktur ist so, wie wenn Sie einen Meißel immer wieder mit dem Hammer bearbeiten und oben geht diese Krone entsprechend auseinander. Das nennt man in der Medizin Berstungsfraktur. Diese Dinge sind alle minutiös diagnostiziert worden. Und dann hat noch eines der Fragmente die Arterie Vertebralis Sinistra, also die linke Artiere Vertebralis, zerschlagen. Davon hat man nur zwei. Die Arterien versorgen hauptsächlich das Kleinhirn. Das Kleinhirn ist der Ort, wo unsere gesamte Fähigkeit der Motorik zusammenläuft. Also alles, was Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Reaktion angeht, wird über das Kleinhirn gesteuert. Das waren die größeren Unfallfolgen. Wir haben sie eigentlich nur erahnt, weil wir den Unfallmechanismus teils gesehen und abgeleitet haben."
Frage: "Aber diese Unfallfolgen wurden nicht jetzt, bei den jetzigen Checks entdeckt, sondern damals schon?"
Dr. Peil: "Sämtliche Unfallfolgen wurden ab dem ersten Tag nach dem Unfall festgellt. Also außerhalb Spaniens haben wir diese Diagnosen gestellt, wir hatten sie samt und sonders vorliegen an dem ersten Abend nach dem Unfall."
Frage: "Warum hat man diese Tests, die am Montag in Bad Nauheim gemacht wurden, nicht schon vorher gemacht?"
Dr. Peil: "Die Tests, die wir jetzt in Bad Nauheim gemacht haben, hätte ich gern sogar noch ein bisschen später gemacht. Wir haben nach diesen Unfallfolgen auch immer kontinuierlich Untersuchungen gemacht, die für Michael belastend sind. Nicht belastend sind, dass er dabei etwas empfindet, aber man macht ja nicht gern unnötige Strahlungen. Die Schwere der Verletzungen macht es unmöglich, nur mit MRT zu arbeiten. Wir mussten zum Teil auch CTs mit entsprechenden Kontrastmitteln fahren."
"Die Kontrastmittelbelastung ist dabei das Problem. Das sind relativ starke Dosen, die man dabei abbekommt. Diese kontinuierliche Verfolgung des Heilungsprozesses wurde gemacht. Und man macht es natürlich nicht alle vier Wochen, sondern es gibt ganz genaue Raster, in denen man das machen darf, auch aus Strahlenschutzgründen. Und da wird auch ein Michael Schumacher behandelt wie jeder andere Patient. Ich sagte vorhin, dass wir es gern noch später gemacht hätten. Wir wollten unbedingt noch die Belastungen, die spezifischen Belastungen des Formel-1-Sports in die Untersuchungen nach der Belastung hineinhaben. Für uns wäre es noch interessanter gewesen, nicht nur einmal knapp 70 Runden, sondern vielleicht noch einmal 60 oder 70 Runden zu haben, um zu sehen, was in dem einen oder anderen Bereich der Verletzung noch geschieht."
"Interessanterweise: Es gibt nicht nur dunkle Momente. Die Verletzung, die jetzt in der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht wird für das Nichtfahren, die Verletzung des Halswirbels, ist komplett ausgeheilt. Auch das ist ein Ergebnis vom Montag, wir wussten es aber schon vorher, weil wir im Mai so weit waren, dass wir wussten, dass die nächste Stufe - vier Wochen - Ausheilung der Wirbelfraktur sieben mit sich bringen wird. Und so ist es auch gekommen."
Welchen Sport kann Schumacher noch betreiben?
Frage: "Bedeutet es denn, wenn Michael diese Formel-1-Belastung nicht auf sich nehmen kann, dass er überhaupt künftig mit Sport sehr vorsichtig sein muss?"
Dr. Peil: "Das ist zum Teil eine Frage an den Arzt, aber auch eine Frage an den, den es betrifft. Michael hätte vorsichtig sein können beim Motorradfahren. Das ist übrigens etwas, was mich persönlich wundert: Er hat sich nie bei mir darüber beklagt, dass ihm das wiederfahren ist. Es ist ja letztendlich ziemlich doof, dass man sich so eine Verletzung beim Motorradfahren zuzieht."
"Er kann sehr gut Sport machen und es wäre schön gewesen, wenn der eine oder andere dabei gewesen wäre und gesehen hätte, wie er von der Ausdauerleistung her vorbereitet war und auch diese zwei Wochen genutzt hat. Wir haben ja auch dazu entsprechende Tests und entsprechende Parameter, die wir seit Jahren erheben. Wir haben ja subjektive Beobachtungswerte, wo ich sage, es ist so und wir haben objektive Beobachtungswerte. Objektive Beobachtunsgwerte sind reproduzierbare Werte, die sie an Geräten messen können, die ursprünglich einmal mit einer Nummer versehen sind und dann auf eine Karteikarte kommen. Und da war er eben so gut."
"Aber das Entscheidende ist: Wir haben als Ärzte zuerst einmal die Aufgabe, jeden nach seinen Fähigkeiten nach einem Unfall so gut wie möglich wieder herzustellen. Das ist jetzt in drei von vier Hauptdiagnosen schon gelungen. Bei der vierten wird es das Limit sein. Auch da sind wir schon ein ganzes Stück weiter. Er wird viele, viele Sportarten betreiben können. Er wird wieder Motorradrennen fahren können - leider. In einem gewissen Umfang. Mir wäre es zum Beispiel nicht unangenehm, wenn selektiv das Motorradfahren durch die Heilung nicht gedeckt ist."
Frage: "Physisch wäre er also ansonsten fit genug gewesen für das Comeback?"
Dr. Peil: "Wir haben immer von Prozessen gesprochen. Ich habe selbst, gleich am Anfang, als diese Entscheidung bekanntgegeben wurde, sehr intensiv darauf hingewiesen, dass wir erst alle Untersuchungen machen wollen. Ich habe gesagt, es ist wie eine Belastungserprobung, die wir sehen wollten. Belastungerprobung, wie die nächste Stufe der Qualität der Bewegung, der Leistung in Kopf und Hald funktioniert. Wir werden nicht aufhören, ihn dort auch weiter aufzubauen. Jetzt in Phasen der weiteren Stabilisierung, der weiteren Durchbauung ist es ganz entscheidend, in welcher Qualität ich aus so einem zerstörten, gebröselten Etwas, was normalerweise ein Gelenk bildet, herauskomme. Es kann auch so sein, dass alles, was er bisher gemacht hat, gerade dazu führt, dass er mit einem besonders guten Ergebnis herauskommt. Dass das alles nicht umsonst ist."
Frage: "Wie gefährlich war es für Michael, den Test zu fahren?"
Dr. Peil: "Als er angefangen hat, hatte er keine Schmerzen. Die Schmerzen kamen mit dem Fahren. Es war der allererste Test mit einem Formel-1-Auto und wir wollten sehen, wie sich die Belastung auf den verletzten Bereich auswirkt. Das war ein Check und vor allem im Formel-1-Auto spielen die Seitenbelastungen und die Bodenwellen eine Rolle. Und es war nicht so, wie es sein sollte."
Wie lange wird es noch dauern?
Frage: "Wie lange wird es dauern, bis diese neueste Verletzung ausheilt?"
Dr. Peil: "Bisher sind wir sehr zufrieden, dass wir mit den anderen Diagnosen so viel Erfolg hatten. In diesem Fall haben wir zwei Hauptfrakturen und eine davon ist in ihrem Heilungsprozess so weit vorangeschritten, dass sie recht stabil ist. Die andere Fraktur, weiter unten zum Rücken hin, ist weniger stabil - und das ist die Verbindung. Im Normalfall heilt eine solche Verletzung selbst nach Jahren nicht von selbst ganz aus, da dort kein Blut hingelangt. Man müsste also operieren. Eine Operation war auch gleich in den ersten Tagen nach dem Unfall im Gespräch, aber das wäre sehr riskant gewesen und das Ergebnis wäre nicht so perfekt gewesen. Ich habe das mit all den großen Chirurgen besprochen und sie haben mir abgeraten."
"Aber wir sind auf einem guten Weg. Doch auch in Zukunft wird man keine Sicherheit haben, bevor man es nicht ausprobiert. Man wird nicht wissen, ob es für die Formel 1 stabil genug ist. Es reicht, um Motorradrennen zu fahren, es reicht, um stundenlang Kart zu fahren. Deshalb müssen wir es wieder versuchen. Beim nächsten Mal fährt er vielleicht anonym 'under cover'. Es kann in drei Wochen, drei Monaten oder drei Jahren wieder gehen. Aber eine solche Verletzung braucht zwischen drei, sechs, zwölf bis hin zu 18 Monaten, um zu verheilen. Man kann da überall nachfragen, in Amerika, in England, Italien. Diese Brüche sind sehr kompliziert und noch schwieriger, wenn die Bruchlinie so verläuft."
Frage: "Michael hat vor allem über die Schmerzen gesprochen, die er im Auto hatte. Aber bestand auch die Befürchtung, dass ein weiterer Unfall zu einer noch langwierigeren Verletzung führen könnte?"
Dr. Peil: "Darüber haben wir vor seiner Entscheidung gesprochen. Bisher haben wir darauf keine Antwort. Es kann sein, dass die anatomische Struktur in diesem Bereich weniger stabil ist als früher. Aber die Muskeln sorgen für die meiste Stabilität, und die Muskeln sind gut aufgebaut. Wenn er keine Schmerzen hat, kann es gehen, wenn er Schmerzen hat, dann nicht. Man kann es nicht vorhersagen, weil es solche Verletzungen nur sehr selten gibt. Es kommt darauf an, ob der Bereich stabil genug ist oder ob die Muskeln das kompensieren können oder nicht."
Bestand beim Unfall Lebensgefahr?
Frage: "Sie haben die zahlreichen Verletzungen geschildert. Bestand denn bei diesem Motorradunfall auch Lebensgefahr?"
Dr. Peil: "Die Wahrheit ist, dass wir darüber nicht viel gesprochen haben. Weil man das nicht hören will. Wir haben uns damals große Sorgen gemacht. Wobei: Bei solchen Unfallfolgen ist Lebensgefahr die eine Geschichte, aber ein Fähigkeitsausfall durch Schädigung des Hirns ist eine ganz andere Geschichte. Sie können existieren, aber sie existieren nicht mehr in der Qualität - in dem Moment, wo Hauptarterien betroffen sind. Es war ein relevanter Unfall, und wir sind ja eigentlich nur darauf gekommen, dass mehr kaputt sein muss, weil wir den Unfall geschildert bekamen und auch wussten, wie viel Gs auf den Helm eingewirkt haben. Es war eine ganz schwierige Situation - auch die Tage danach."
Frage: "Würden Sie sich wünschen, dass er vielleicht lieber mit der Harley Davidson durch die USA fährt, anstatt mit einem 180-PS-Motorrad auf die Rennstrecke geht?"
Dr. Peil: "Es ist Jahre her, da wird er sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, da ging es auch um das Thema Motorradfahren. Das war glaube ich eine Tour in Oberitalien. Und da wollte ich auch nur ein bisschen darauf hinwirken, dass es vielleicht ein bisschen langsamer geht. Und da habe ich gemerkt, dass ich falsch liege. Da habe ich gesagt: 'Könnt ihr ein bisschen vorsichtig sein, ein bisschen langsam fahren?' Und da gab es eine ganz harsche und böse Antwort mit einem ganz komischen Blick: 'Wenn ich so denken würde wie du, wäre ich nie das geworden, was ich sein will und was ich immer bleiben will'. Insoweit müssen wir uns alle ein bisschen zurücknehmen, aber ich fände es halt auch ganz gut, wenn wir noch eine Zeit lang Spaß mit ihm hätten."